don’t fight it, feel it!

Eine Ausstellung von
Andreas Diefenbach

(Nachbild)
Phantombilder sind Bilder, die die Augen produzieren, obwohl der ursprüngliche
Lichtreiz bereits Geschichte ist. Diese visuellen Echos sind besonders
deutlich zu sehen, nachdem man in die Sonne oder eine Glühlampe geschaut
hat. Die Wahrnehmungsphysiologie bezeichnet das Phänomen als entoptischen
Eindruck.
(Damals)
Vor fast genau 4 Jahren hat der Künstler Andreas Diefenbach in der Frankfurter
Galerie Feld + Haus seine Ausstellung More Than A Feeling eröffnet. Zu
sehen waren 10 gross- und fast gleichformatige Bilder, die alle in derselben
analog-digitalen Mischtechnik hergestellt waren. Ich war damals nicht dabei
und diese Arbeiten kenne ich nur als Reproduktionen in einem die Ausstellung
begleitenden Heft.
(Assoziation 1)
Weil es mir irgendwie gelang, die einzelnen Titel zu überlesen und dazu auch
noch beim Betrachten das schrille Song-Zitat zu vergessen, gefiel es mir, sie
als Fenster zu William S. Burroughs Interzone zu sehen. Für Burroughs war
dieser imaginierte Ort ein Nachbild des marokkanischen Tangiers der Mitte
des letzten Jahrhunderts. Bevölkert von luziden Charakteren, die obskure
kommerzielle Interessen mit dunklen Utopien koppelten, um eine Macht zu
erkämpfen, die sich selbst zum Ziel hatte – „Nichts ist wahr, alles ist
erlaubt“.
(Geteilt)
Für die jetzige Hamburger Ausstellung hat Diefenbach im Maßstab 1:2 verkleinerte
Siebdruckfilme der für die originalen UV-Drucke benutzten CMYK-Vorlagen
anfertigen lassen. Ich war froh, als er mir eine weitere Überdruckungsstufe
zeigte, bei der einzelne Farben mit kaltem Weiss ausgetauscht waren, denn
plötzlich zog zeitgenössischer Nebel auf und die Reproduktionen entwickelten
sich in Richtung einer wahrnehmungsphysiologischen Versuchsanordnung: Das
Extra-Layer wurde Äquivalent der Erscheinung, die eigentlich hinter unseren
Lider passiert, wenn wir geblendet die Augen schliessen.
(Assoziation 2)
In meinem Kopf betrat noch ein Schriftsteller die Bühne. Ich träumte,
wie J.G.Ballard William S. Burroughs die Hand reichte und ihn durch die
kalifornische Wüste in einen weiteren fiktiven Ort führte. Das Luxus-Resort
Vermillion Sands. Ballards so betitelte Kurzgeschichten-Sammlung enthält
das 1967 geschriebene The Cloud-Sculptors of Coral D. An einer Stelle
dieses kurzen Prosa-Stücks beobachtet, die von Selbstporträts besessenen
Leonora, in futuristischen Gleitern Wolken-Bilder anfertigende Künstler,
während „Erinnerungen, Karavellen ohne Segel, die schattenhaften Wüsten
ihrer ausgebrannten Augen durchqueren“.
(Ramalama)
Denise Johnson, die Sängerin des den Song Don‘t Fight It, Feel It bestimmenden
Mantras „Ramalama lama fa fa fa – Gonna get high until the day I die“, ist
2020 gestorben. Ein paar Monate nach Andrew Weatherall, dem Produzenten des
Primal Scream Albums Screamadelica, auf dem dieses Lied 1991 zuerst erschien.
Beide halfen dem Bandleader Bobby Gillespie, seine geschichtsvergessene
Psychedelik in Richtung Acid House zu aktualisieren. Was Weatherall über
das modifizierte MC5-Zitat dachte, können wir ihn nicht mehr fragen. Auch ob
sich Johnson komisch fühlte als sie diesen wahrscheinlich aus dem Fundus des
britischen Pop-Stotterns (wie „My Generation“ und „La-La-Lies“ von The Who,
„Sha-La-La-La-Lee“ und „I Feel Much Better“ von The Small Faces) entnommenen
Refrain wiederholte, bleibt ein Geheimnis.
(Vernunft)
In Hans-Jürgen Hafners Text zur Frankfurter Original-Ausstellung ist eins
der bestimmenden Wörter Paragone. Der Kunsthistoriker nutzt den dadurch
bezeichneten Kampf der Künste (paragone delle arti) als Vergleichspunkt,
um Diefenbachs Malerei konservativ in neuen digitalen Arbeitsfeldern zu
reflektieren. Während ich seine Worte las, wurde ich von einem Ohrwurm
gequält. Der niederländische Produzent FFF hat 2022 das Stück Paragon Of
Reason veröffentlicht. Eine moderat-neuzeitliches Hardcore-Brett das zwischen
gebrochenen und geradem Rhythmus mäandert und von zwei Sätzen bestimmt wird,
die Tommy de Roos (so sein richtiger Name) aus dem 1970 veröffentlichten
Supercomputer-Film Colossus abgesamplet hatte: „Eine unparteiische,
emotionslose Maschine, ein Musterbeispiel an Vernunft. Das ist es, was ich
will.“
(Vor & Nach)
In der aktuellen Kunstpädagogik versteht man unter der Bezeichnung Vorbild/
Nachbild eine Vermittlungspraxis, bei der ein Kunstwerk von Schülern untersucht,
besprochen und anschließend individuell verändert wird. Ziel ist nicht, das
Bild nachzumalen, sondern es mit eigenen Mitteln zu interpretieren. Mit
viel gutem Willen meint man dieses Vorgehen auch bei Diefenbach erkennen zu
können. Als Erweiterung der Selbstporträt-Obsession von Ballards literarischer
Figur Leonora. Doch seine kulturelle Sozialisation (als exzeptioneller
Plattenhändler, Student beim Sehgewohnheiten-Verschieber Michael Krebber und
Designer nachhaltiger DIY-Mode) bedingt eine vernünftige, maschinengleiche
Arbeitsweise, der sich selbst modifizierenden historischen Ermächtigung (die
nie und niemals pädagogische Appropriation sein kann und will).
(Jetzt)
Diefenbachs Zeitrechnung fängt gefühlt im Tangier der späten 1950er an und
hört definitiv im London der frühen 1990er Jahre auf. Wie Paul Klees Angelus
Novus fliegen wir rückwärts, diese sich verkleinernde kulturelle Insel stets
im Blick behaltend, aber weit über das Ende der Geschichte hinaus. Anders
als die großen, damals mondän präsentierten Originale, wirken seine hier
gezeigten Miniaturen aus der Warenlogik herausgelöst. Und das macht wohl
ihre erkenntnisreiche Schönheit aus: Die fiktionalen Flügel der Segelflugzeuge
von Vermillion Sands schneiden wahre Wunder aus den Kumulus-Formationen
und während der ausgedachte Pilot immer und immer wieder Gewebe von ihnen
abtrennt, fällt uns in kühlem Regen der Dunst entgegen – Die Vergangenheit
wird Zukunft, der Ort eine Marginalie.

Thomas Baldischwyler

Tipping point, 2023
Siebdruck mit Acryl und Lack auf Leinwand
62 x 75 cm

connected, 2023
Siebdruck mit Acryl und Lack auf Leinwand
75 x 62 cm

Don’t fight it – feel it!, 2023
Siebdruck mit Acryl und Lack auf Leinwand
75 x 62 cm

Intermodal, 2023
Siebdruck mit Acryl und Lack auf Leinwand
75 x 62 cm